Lorenz: "Man bekommt dafür so viel Dankbarkeit zurück"
Blindenreporter Fred Lorenz im Interview
Fred Lorenz ist einer von sechs Blindenreportern des BTSV. Er und sein Team unterstützen mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit sehbehinderte Menschen bei ihrem Besuch im EINTRACHT-STADION. Sie kommentieren das Spiel und erklären ihren Zuhörern die aktuellen Geschehnisse auf dem Platz. Im Interview mit eintracht.com spricht er über die Besonderheiten seiner Arbeit, seine Anfänge und einen ganz besonderen Moment.
Guten Tag Herr Lorenz, sie sind einer der Kommentatoren für Sehgeschädigte. Wie lange sind Sie schon für die Eintracht tätig?
Fred Lorenz "Ich habe in der Aufstiegssaison zur 1. Bundesliga angefangen. Das müsste in der Saison 2012/2013 gewesen sein.“
Wie viele Leute umfasst das Team? Wer ist dabei noch mit involviert?
Lorenz "Wir sind momentan sechs Personen in unserem Team. Dabei ist auch noch der Mann der ersten Stunde, Paul Beßler. Der hat das Ganze ins Leben gerufen und macht diese Arbeit schon seit ungefähr 15 Jahren. Unser Team bedient Eintracht Braunschweig und ebenso den VfL Wolfsburg. Das ist einmalig in Deutschland, dass ein Team von Sehbehinderten-Kommentatoren zwei Vereine gleichzeitig bedient. Das hat sich natürlich hier aufgrund der Nähe angeboten und ist auch vor langer Zeit so gereift. Zu Beginn waren wir nur ein Drei-Mann-Team, mittlerweile haben wir uns vergrößert.“
Wie sind Sie dazu gekommen?
Lorenz "Ich habe im Rahmen meiner Tätigkeit als Lehrer in Salzgitter mal eine Sehbehinderten-Fußball-Mannschaft von Eintracht Braunschweig kennengelernt. Die haben damals noch Bundesliga gespielt. Bei einem Spieltag auf dem Franzschen Feld, habe ich dann Paul Beßler getroffen und gesehen, dass er eine Jacke trug, auf der das Wort „Blindenreporter“ zu lesen war. Da ich Journalismus studiert und mal beim Fernsehen gearbeitet hatte, hab ich ihn gefragt, was das denn sei und ob man da mal mitmachen könnte. Das war eher ein Zufall, dass ich ihn beim Spieltag kennengelernt habe. Paul war schon sehr erfreut über mein Interesse, da sie zu diesem Zeitpunkt nur zu zweit gearbeitet haben und das natürlich ein hoher Aufwand war, beide Vereine zu betreuen. Deswegen haben wir unser Team dann später auch ausgeweitet, damit die Belastung an den Wochenenden nicht mehr ganz so hoch ist.“
Welche Unterschiede gibt es denn zu einem "normalen“ Fußballkommentator?
Lorenz "Der ganz große Unterschied ist, dass wir nicht viel kommentieren. Wir sind Blindenreporter. Unsere Aufgabe ist es das Geschehen auf dem Platz und rund herum genauestens für Blinde zu „übersetzen“. Wir nennen das so, weil wir im Grunde ihre Augen sind. Dementsprechend erzählen wir nicht so viel von bunten Themen oder aktuellen Diskussionen, sondern fokussieren uns permanent darauf, den Ball und die Spieler auf dem Platz zu verorten. Das heißt, wir sind immer auf Ballhöhe und erzählen den Zuhörern haargenau und sehr detailliert, was genau auf dem Feld passiert. Natürlich gehört aber auch die nötige Spannung und der Enthusiasmus dazu. Man kann sich das so vorstellen, dass wir alle zehn Sekunden den Blinden ermöglichen, dass sie wissen in welcher Position sich welcher Spieler befindet und wo genau der Ball gerade hin geschossen wurde.“
Gibt es weitere Besonderheiten?
Lorenz "Man darf natürlich nicht vergessen, dass wir auch die Choreographien der Fans detailliert beschreiben. Hinzu kommen die Informationen dazu, welche Spieler sich zum Einwechseln bereit machen. Wird zum Beispiel das Trikot mit der 17 hochgehalten, weiß man, dass gleich Yari Otto ins Spiel kommt. Wir achten auch auf das Verhalten des Trainerteams der Löwen, aber auch auf den Trainerstab des Gegners. Da kommentieren wir natürlich auch Dispute und Diskussionen untereinander oder mit dem vierten Offiziellen mit. Im Prinzip versuchen wir den Blinden unsere Wahrnehmung zu übertragen.“
Was ist denn das Einzigartige an dieser Tätigkeit?
Lorenz "Es verbindet in erster Linie meine Leidenschaft zum Fußball und zur journalistischen Berichterstattung. Ich kann meiner Beschäftigung des Live-Kommentierens von Fußballspielen, das ich in meinem Studium gelernt habe, nachgehen. Was natürlich ebenso ein großer Aspekt ist, ist das Ehrenamt. Ich habe bei meiner Arbeit ein gutes Gefühl, wenn ich im EINTRACHT-STADION sieben bis acht sehbehinderten Menschen ermöglichen kann, die Stimmung mitzuerleben und die Aktionen auf dem Fußballplatz näherbringen kann. Dieses Ehrenamt macht man natürlich gerne, weil man die Dankbarkeit der Sehbehinderten unglaublich intensiv wahrnimmt. Man schenkt ihnen alle zwei Wochen schöne 90 Minuten und bekommt dafür so viel Dankbarkeit zurück.“
Gibt es einen besonderen Moment, der Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Lorenz "Tatsächlich gibt es einen Moment, der mir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist. Die Eintracht spielte gegen den VfR Aalen und bei dieser Partie hatte unser Übertragungsgerät einen leichten Defekt. Wir mussten live berichten und saßen zu zweit in einem Pulk von sehbehinderten Menschen. Trotz einer Wahnsinnsstimmung haben wir damals das Spiel durchkommentiert. Es war tatsächlich noch so, dass die Eintracht in der Nachspielzeit den Siegtreffer geköpft hat. Die Blinden haben sich so unfassbar gefreut. Ich hatte zwar ein paar Tage keine Stimme mehr, aber es war das echteste Erlebnis, was ich mit meinen Sehbehinderten hatte.“