Schwarz: "Ausbildung sollte im Vordergrund stehen"

Die Spielklassenreformen verändern den Kinder-und-Jugendfußball ab der kommenden Saison

Ab der kommenden Saison wird sich im deutschen Kinder- und Jugendfußball einiges verändern, denn der DFB hat verbindliche Spielreformen festgelegt, die im Sommer 2024 in Kraft treten. So sollen DFB-Nachwuchsligen ab der Saison 2024/2025 die bisherige A- und B-Junioren-Bundesliga der U17 und U19 ersetzen, somit treten alle Vereine mit einem Leistungszentrum dauerhaft in einer Liga an. Und auch bei den Kleinsten gibt es Neuerungen: Die Meisterschaftsrunden der G-, E- und F-Jugend entfallen, der Leistungsdruck soll somit minimiert werden. Künftig finden die Duelle auf Kleinfeld statt, in kleineren Teams und mit Rotationsprinzip sollen alle Kinder möglichst viel Einsatzzeit bekommen. Wir sprachen mit NLZ-Leiter Jesper Schwarz und U19-Trainer Jonas Stephan über die Entwicklungen.

Ab der kommenden Saison starten die Altersklassen U17 und U19 unseres blau-gelben Nachwuchsleistungszentrums in einer neuen Nachwuchsliga an. Welches Potenzial seht ihr in dieser Neuerung?
Jonas Stephan: „Wir als Eintracht Braunschweig sind in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Argument konfrontiert gewesen, dass wir nicht in allen Jahrgängen die höchsten Spielklassen abbilden zu können. Dieses Argument fällt durch die Spielklassenreform weg, das ist für uns ein Vorteil. Über unsere eigene Position hinaus betrachtet, sehe ich aber ebenfalls eine positive Entwicklung. Jahrgangsunabhängig die Spielklassen halten zu können räumt mit einem Störfaktor für alle Vereine auf: Hatte man bisher einen schwächeren Jahrgang dazwischen, bestand natürlich die Abstiegsgefahr. Jedoch war es oftmals so, dass man im Anschluss wieder einen stärkeren Jahrgang im Wettbewerb hatte. Bedingt durch den Vorjahresabstieg spielte diese nun aber eigentlich unter dem Niveau, auf dem sich gemessen werden sollte. Dieses Prinzip wird mit der Spielklassenreform gerechter. Außerdem glauben wir, dass sich das grundsätzliche Verhalten beim Fußballspielen verbessern wird. Bei der Spielklassenreform wird viel über das Verlieren und den vorherrschenden Druck diskutiert, oft wird argumentiert, die Kinder und Jugendlichen müssten Konsequenzen für ihr Spiel erfahren. Wir glauben, dass es unterschiedliche Arten von Druck gibt. Im Moment sieht man insbesondere in den höheren Spielklassen viele Vermeidungsstrategien, die Teams versuchen zu verhindern, dass sie in Konter laufen, dass sie Gegentore kassieren und am Ende deutlich unterlegen. Wir bekommen nun die Möglichkeit, mehr positiven Druck zu erleben. Kinder sollten gewinnen wollen, nicht Angst vor Niederlagen haben. Das hilft, befreiter aufzuspielen, der Trainer kann zwangloser die Mannschaft aufstellen und mehr Einsatzchancen geben. Es macht mutiger, kann Potenzial entfalten und den Fußball auch wieder ansprechender machen. Blickt man dann mal auf so ein Spieltagswochenende, sieht man viele Top-Begegnungen, weil alle Nachwuchsleistungszentren eine gewisse Attraktivität mitbringen.“

Aus der Nachwuchsliga können die Löwenteams nicht absteigen und auch bei den jüngsten Kindern wird der Leistungsdruck zurückgenommen. Habt ihr Bedenken, dass die Jugendlichen nicht mehr lernen, mit Spielergebnissen und deren Konsequenzen umzugehen?
Jesper Schwarz:
„Der Vorwurf, Kinder würden auf Grund der Reformen das Gewinnen und Verlieren nicht mehr lernen und den Ansporn verlieren, wird aus meiner Sicht allein dadurch entkräftet, dass die ambitionierteste, wertvollste und umsatzstärkste Liga der Welt, die NFL, das gleiche System fährt.“

Stephan: „Man muss bei den Spielen in der NLZ-Liga davon ausgehen, dass man gefordert wird und weiterhin werden die Teams natürlich auch gewinnen wollen. Das haben Sonderspielrunden oder auch interessante Testspiele zuletzt gezeigt, da gab es keinen Rückgang an Intensität, nur weil der Titel der Bundesliga nicht auf der Partie prangte. Der Gegner macht den Ehrgeiz aus, nicht die Liga. Zudem möchte man doch, dass die Jugendlichen im Hier und Jetzt spielen und nicht während der Begegnung schon acht Wochen vorausdenken, welche Konsequenzen das Ergebnis dann noch haben könnte. Das macht die Reform möglich.“

Ihr seht also eine insgesamt positive Entwicklung. Denken wir nochmal einen Schritt weiter, was wünscht ihr Euch, sobald die Reformen etabliert sind?
Schwarz: „Wir würden es sogar begrüßen, das System auch auf die U15 und U16 auszuweiten, sodass es insbesondere auch den jüngeren Mannschaften zugutekommt. Auch für den Bereich U12 bis U14 wäre ein regionaler Vergleich in einem ähnlichen Konzept wünschenswert, wie es bereits im Nordcup praktiziert wird. Wechseleinschränkungen wären ebenfalls ein Thema, was eine nähere Betrachtung wert wäre. Regionalität, in dem eigenen Umfeld bleiben, das ist sehr wichtig für die Entwicklung junger Spieler. Zudem sollte die inhaltliche Ausbildung vor der Wirtschaftlichkeit stehen, wobei auch an Gehaltsobergrenzen gedacht werden müsste. Das heißt sicherlich immer noch, dass manche Vereine, Trainer und Anlagen attraktiver sind als andere und die Spieler entsprechend abwandern, allerdings sind die Beweggründe andere und weniger. Die Ausbildung sollte im Vordergrund stehen und die Entwicklungsmöglichkeiten eines Talents, nicht die reine Geldsumme bei einem Wechsel.“

Die kleinsten Nachwuchsfußballer sind auch von der Reform betroffen, ab dem kommenden Sommer sollen die Mannschaften auf dem Kleinfeld und in kleineren Teams spielen. Seid ihr da ebenso positiv gestimmt?
Stephan: „Das halten wir für eine sehr gute Herangehensweise, weil Spielzeit der entscheidenste Faktor dafür ist, damit Kinder sich weiterentwickeln können. Umso mehr Ballkontakte der Nachwuchs sammelt und je größer die Wiederholungsdichte, desto besser die Entwicklung der Fußballer. Deswegen begrüßen wir auch diese Entwicklung absolut. Unsere Trainingskonzeption sieht schon lange vor, dass wir den Spielern viele Wiederholungszeit geben, beispielsweise durch Situationen im 1 gegen 1 oder Kleinfeld-Spielformen. Und auch hier gibt es Feedback für die Kinder: Entweder man steigt auf oder man steigt ab, trotzdem kann jederzeit nachjustieren werden und die Möglichkeit besteht, das nächste Spiel wieder zu gewinnen.“ 

Was steht speziell dem Nachwuchsleistungszentrum unserer Löwen ab dem nächsten Jahr an Veränderungen durch die Reformen bevor?
Schwarz:
„Zum einen stärken sie unsere Regionalität, insbesondere in der Spielerauswahl, worauf wir viel Wert legen. Zum anderen können wir uns auch in unserer Spielkonzeption mehr ausleben und brauchen weniger Anpassungen an die Gegner. Die Reform gibt uns Planbarkeit und Sicherheit, unabhängig von Ergebnissen unseren Weg zu gehen. Außerdem können wir Ressourcen besser verteilen, insbesondere schauen, wie wir den jüngeren Mannschaften noch besser gerecht werden können.“

Stephan: „Wir müssen schon auch schauen, wie wir uns in Zukunft aufstellen. Wir müssen mit den Ressourcen, die wir haben, haushalten und wollen dabei den Bereich der jüngsten Mannschaften nicht zu kurz kommen lassen. Wir wollen nicht Spieler aus ganz Deutschland zusammenholen, sondern es regional aufziehen. Das schaffen wir, indem wir die Spieler früh selbst entwickeln. Wir brauchen richtig gute Trainer, gute Strukturen und ein für uns sinniges Wettkampfsystem. Durch die neuen Strukturen im Jugendfußball werden wir umso langfristiger davon profitieren, die Spieler ab dem jüngsten Alter aufzubauen.“ 

Foto: Torsten Utta