„Tod dem Verräter“


Überschattet wird die sportliche Entwicklung im Frühjahr 1983 vom Unfalltod Lutz Eigendorfs. Bis heute sind die Umstände nicht gänzlich aufgeklärt, doch die Indizienlage spricht dafür, dass der ehemalige DDR-Auswahlspieler des BFC Dynamo einem Auftragsmord der Stasi zum Opfer fiel. Am Abend des 5. März 1983, nach der 0:2-Heimniederlage gegen Bochum, die Eigendorf auf der Ersatzbank verfolgt hat, kommt der „Republikflüchtling“ auf regennasser Fahrbahn mit überhöhter Geschwindigkeit in einer langgezogenen Linkskurve zwischen Querum und Bienrode mit seinem Alfa Romeo GTV6 von der Fahrbahn ab und prallt gegen einen Baum. Zwei Tage später erliegt Eigendorf, der sich 1979 bei einem Stadtbummel in Gießen von der zu einem Freundschaftsspiel in Kaiserslautern entsandten BFC-Delegation absetzte, seinen schweren Schädelverletzungen.
 

In seinem Blut wird nach dem Unfall ein Alkoholwert von 2,2 Promille gemessen. Um zum Zeitpunkt der Blutentnahme auf einen solchen Wert zu kommen, hätte der Mittelfeldspieler nach ärztlicher Aussage 4,3 Liter Bier trinken müssen. Mehrere Zeugen berichten jedoch, Eigendorf sei nüchtern gewesen. Nach Aussage seines Fluglehrers Manfred Müller, der sich am Abend des 5. März im Waggumer Restaurant „Cockpit“ mit Eigendorf trifft, seien nicht mehr als ein, zwei Bier geflossen. Nach Öffnung der Stasi-Akten finden sich Hinweise, dass der vermeintliche „Unfall“ ein von der DDR-Staatssicherheit geplanter Mordanschlag gewesen sein könnte. Das 2000 erstmals ausgestrahlte Fernsehfeature „Tod dem Verräter“ untermauert diese These, dokumentiert die jahrelangen Anstrengungen des DDR-Geheimdienstes, Eigendorf zur Strecke zu bringen.

Stasi-Chef Erich Mielke ist auch Vorsitzender der Sportvereinigung Dynamo sowie glühender „Fan“ und Ehrenvorsitzender des BFC Dynamo. Bevor Eigendorf im Westen bleibt, zählt Mielke zu den großen Bewunderern des Ausnahme-Fußballers. Die „Republikflucht“ eines Dynamo-Sportlers aber empfindet der Minister als „Hochverrat“. Eigendorf wird bespitzelt, auf seine in Ost-Berlin gebliebene Frau Gabriele wird ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi angesetzt, um sie zur Scheidung zu bringen und selbst zu heiraten. Karl-Heinz Felgner alias „IM Schlosser“, ein ehemaliger Berufsboxer und Gelegenheitsgangster, bekommt den Auftrag, Eigendorf zu ermorden, führt diese Weisung aber nach eigenen Angaben nicht aus. In den Stasi-Unterlagen des IM findet sich jedoch ein Blatt, auf dem verschiedene Tötungsmethoden behandelt werden. „Verblitzen, Eigendorf, Narkosemittel“, steht da unter anderem. Die Frage, ob Eigendorf womöglich vor der Unfallkurve mit Absicht geblendet wurde, bleibt unbeantwortet. In der umfassenden Stasi-Akte zu „IM Schlosser“ fehlen bezeichnenderweise die Jahre 1980 bis 1983.

Eintrachts Profis tragen den einst als „Beckenbauer des Ostens“ gepriesenen DDR-Auswahlspieler am 14. März 1983 zu Grabe. Das Bundesliga-Spiel bei Schalke 04 (3:3) wird deshalb vom 12. auf den 22. März verlegt.                     

Horst Bläsig und Fritz Rust (Fotos)