Kessel: "Werden in die Erfolgsspur zurückkehren"

Der Geschäftsführer-Sport im Interview

Die ersten Wochen der noch jungen Saison sind um und auch das Transferfenster ist seit vergangenem Freitag geschlossen. Grund genug, um mit Sport-Geschäftsführer Benjamin Kessel über die vergangenen Wochen und den Start in die Pflichtspiele zu sprechen. 

Benjamin, die gestrige Niederlage gegen den Karlsruher SC bedeutet, dass wir noch ohne Punkte in der Liga in die erste Länderspielpause der Saison gehen. Wie blickst Du auf den Start in die Spielzeit?
Benjamin Kessel: „Das Ergebnis am Sonntag ist natürlich sehr enttäuschend, weil wir ein ordentliches Spiel gezeigt haben. Neben einigen individuellen Fehlern, die uns derzeitig zu häufig unterlaufen, sieht man einfach, dass uns aktuell neben einer Portion Selbstvertrauen auch das Matchglück fehlt. Der KSC hat einen Lauf und nutzt die letzte Chance im Spiel eiskalt, während wir das Tor kurz vor Schluss nicht treffen.

Mit einem ähnlichen Gefühl blicke ich auch auf die ersten Wochen der Saison zurück, denn der Saisonstart ist alles andere als geglückt, da brauchen wir nicht drumherum reden. Wir haben uns trotz des schweren Auftaktprogramms mehr versprochen. Dennoch ist es wichtig, die Spiele differenziert zu betrachten. Mit Ausnahme des Auswärtsspiels in Köln haben wir in allen Duellen immer wieder gute Phasen gehabt. Wir sehen aber auch, dass nur gute Phasen in dieser starken Liga in der Regel nicht ausreichen, um zu punkten. Wir müssen unsere Basics konsequent abrufen und als Team auftreten, das hat uns in den vergangenen Monaten stark gemacht. Dann werden auch die spielerischen Elemente, die unsere Jungs ohne Frage drauf haben, wieder deutlicher zum Tragen kommen.“

Besorgt dich der Fakt, dass aktuell fünf Pflichtspielniederlagen in Serie zu Buche stehen?
Kessel: „Die Bilanz können wir nicht wegdiskutieren, das tut bei uns auch niemand. Auch bei differenzierter Betrachtung der Spiele fällt die hohe Anzahl der Gegentore und das Muster schnell aufeinanderfolgender Gegentreffer auf. Die defensive Stabilität ist ein riesiges Thema, in dem wir uns im Kollektiv, und damit schließe ich alle Mannschaftsteile ein, deutlich steigern müssen. Es ist unausweichlich, dass wir genau diese Themen ehrlich analysieren.

Aufgrund des großen Kaderumbruchs waren wir uns bewusst, dass es auch mal kritische Saisonphasen geben kann. Mit einer solchen sehen wir uns nun leider schon zu Saisonbeginn konfrontiert. Wir müssen inhaltlich die richtigen Schlüsse ziehen, uns auf unsere Stärken besinnen und geschlossen als Eintracht den Turnaround hinbekommen. Das geht aber nur, wenn wir alle an einem Strang ziehen und der Mannschaftserfolg über persönlichen Interessen steht. Die Länderspielpause ist für uns nun die Chance, die vergangenen Wochen aufzuarbeiten und anschließend mit voller Kraft und absoluter Überzeugung die nächsten Aufgaben anzupacken."

Du hast den Kaderumbruch angesprochen. In deinem ersten Transfersommer als Sport-Geschäftsführer gab es mehr als 30 Transferbewegungen…
Kessel: „Wir sind diesen Schritt ganz bewusst gegangen, um eine veränderte Kaderstruktur zu schaffen. Zudem, so ehrlich muss man auch sein, ist dieser Weg wirtschaftlich – sowohl kurz- als auch mittelfristig - alternativlos.

Ein Kaderumbruch benötigt immer Zeit und erfordert Geduld, dieser Umstand alleine ist für diesen Sommer schon eine Herausforderung. Nach den vergangenen, sehr erfolgreichen Monaten nehmen wir zudem eine gestiegene Erwartungshaltung im Umfeld wahr. Doch die Mannschaft der vergangenen Saison lässt sich mit unserem heutigen Kader nicht mehr vergleichen. Wir haben einige Leistungsträger verloren, zudem Spieler abgegeben, die über viele Jahre eine wichtige Rolle innerhalb der Mannschaft hatten. Nun entwickelt sich eine neue Teamhierarchie, auch die Abläufe müssen sich in dieser neuen Konstellation noch festigen. Trotz dessen wollen wir nicht wegdiskutieren, dass wir in der Liga in den kommenden Wochen Punkten müssen. Gemeinsam mit der akribischen Arbeit unseres Trainerteams werden wir in die Erfolgsspur zurückkehren. Ich bin von der Qualität unseres Kaders absolut überzeugt, vertraue unseren Jungs und erwarte, dass jeder tagtäglich für die Mannschaft an seinem Maximum arbeitet. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch unsere Fans, die in den vergangenen Wochen ein gutes Gespür für die Situation bewiesen und uns fantastisch unterstützt haben. Diesen Zusammenhalt brauchen wir auch in den kommenden Wochen.“

Kurz vor Ende der Transferperiode habt ihr mit Paul Jaeckel für das Abwehrzentrum und Sebastian Polter für den Angriff nochmal nachgelegt. Welche Überlegungen stecken hinter diesen beiden Personalien?
Kessel: „Unsere Planungen beinhalteten immer, dass wir die Saison mit fünf Innenverteidigern bestreiten wollen. Wir haben den Saisonstart klar analysiert und permanent den Markt sondiert, um die bestmögliche Lösung hinzubekommen. Mit Paul konnten wir für diese Position einen echten Qualitätsspieler gewinnen, der unsere Mannschaft sofort verstärkt. Dies gilt auch für Sebastian Polter. Wir haben definiert, dass wir im Angriff mehr Wucht, Abgezocktheit, Kommunikation und natürlich auch Torgefahr brauchen, all diese Attribute bringt Sebastian mit. Beide Spieler sind dazu echte Persönlichkeiten, das haben wir gebraucht. Sie werden uns enorm weiterhelfen.“

Ein heiß diskutiertes Thema war bis zum Transferschluss am Freitagabend auch eine mögliche Rückholaktion von Thórir Helgason. Warum blieb ein Vollzug aus?
Kessel: „Thórs starke Entwicklung, insbesondere in der vergangenen Rückrunde, war offensichtlich. Wir haben seinem Stammverein US Lecce daher schon frühzeitig signalisiert, dass wir ihn gerne halten würden, auch vom Spieler selbst gab es ein klares Bekenntnis zur Eintracht. Die im vergangenen Jahr vereinbarte Kaufoption in knapp siebenstelliger Höhe war für uns im Mai einfach nicht darstellbar, sodass wir die Gespräche nach Saisonende intensiviert haben, um eine Lösung zu finden. Wir waren zu persönlichen Gesprächen in Italien, haben über Wochen alle Hebel in Bewegung gesetzt und bis vergangenen Freitagabend wirklich alles versucht, um Thór erneut zu verpflichten. Dabei haben wir mehrere Szenarien ausgelotet, sowohl eine feste Verpflichtung als auch eine erneute Leihe diskutiert. Die Verhandlungen waren über den gesamten Sommer hinweg sehr schwierig und zwischen Lecce und Beraterseite teils verhärtet. Selbst der letzte Versuch eine halbe Stunde vor Ablauf der Transferfrist wurde seitens Lecce abgeblockt. Wir müssen diese Entscheidung respektieren, auch wenn es uns inhaltlich schwerfällt.

Bei aller Wertschätzung für Thór dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass wir bereits Mittelfeldspieler im Kader haben, die ein ähnliches Profil mitbringen. Sie müssen und werden in diese Rolle reinwachsen und genießen unser uneingeschränktes Vertrauen.“  

Wochenlang war auch der mögliche Abgang von Youssef Amyn Thema, der Deal ist mittlerweile fix…
Kessel: „Youssef war von uns für die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris freigestellt und reiste anschließend mit unserer Erlaubnis nach Spanien, um dort die medizinischen Untersuchungen für seinen neuen Verein zu absolvieren. Mit Al-Wehda waren wir uns bereits frühzeitig einig. Dass er in dieser Phase, ausdrücklich ohne unsere Zustimmung, bereits in Testspielen mitwirkte, ist für uns absolut unverständlich. Dieses Vorgehen können wir bis heute nicht nachvollziehen. Jedoch wollten wir den Transfer nicht gefährden und haben uns aus diesem Grund in der Öffentlichkeit zu seiner Personalie zurückgehalten. Wir sind froh, dass wir es erfolgreich ins Ziel gebracht haben und wünschen Youssi viel Erfolg auf seinem weiteren Weg.“

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