Kessel: "Wollen eine nachhaltige Kaderstruktur schaffen"

Sportdirektor Benjamin Kessel im Interview

Nach einer intensiven Spielzeit und dem Erreichen des Klassenerhalts sind mittlerweile knapp zwei Wochen vergangen. Seither verließen einige Spieler die Eintracht und wiederum andere Profis konnten die Löwen schon als Neuzugänge verkünden. Für Sportdirektor Benjamin Kessel und die gesamte sportliche Leitung ist also keine Zeit zum Durchatmen, denn neben weiteren anvisierten Transfers ist auch die Zukunft von einigen bestehenden Kaderspielern noch nicht final geklärt. Grund genug also, um mit dem Sportdirektor etwas ausführlicher über den aktuellen Status Quo zu sprechen. 

Benjamin, mit dem 1:0-Sieg gegen Wehen Wiesbaden konntet ihr den direkten Klassenerhalt feiern. Wie groß war Deine Erleichterung?
Benjamin Kessel: „Wir standen nach dem missglückten Saisonstart unter immensem Druck, es waren sehr intensive Monate, wir waren in jedem Spiel gefordert. Dass wir am Ende unser großes Ziel als echte Einheit erreicht haben, ist eine beeindruckende Leistung, auf die wir stolz sein können. Und natürlich fiel nach dem Spiel gegen Wiesbaden auch eine große Last von den Schultern jedes Einzelnen. Als Sportdirektor spüre ich die Verantwortung für den Verein aber auch für die Menschen, die ihn leben, auf eine andere Art und Weise, als es zu meiner Zeit als Spieler der Fall war.“

Nach dem Spiel beim 1. FC Kaiserslautern habt ihr die Spielzeit schlussendlich auf Rang 15 abgeschlossen. Wie bewertest Du die Saison insgesamt?
Kessel: „Es war bereits zum Zeitpunkt der Erweiterung meiner Kompetenzen klar, dass die ersten Monate der Saison auch der Grund waren, weshalb wir bis zum letzten Spieltag unter Zugzwang stehen würden. Nach der Trennung von Jens Härtel und der Verpflichtung von Daniel Scherning haben wir es gemeinsam geschafft, sportlich die Wende zu schaffen und die Stimmung innerhalb des Vereins und in unserem Umfeld zu drehen. Die Entwicklung, die wir seither genommen haben, ist sicherlich einzigartig gewesen, weil sie uns von den wenigsten Personen zugetraut wurde. Es zahlt sich aus, an die Jungs zu glauben und den Akteuren - auf und neben dem Rasen - etwas Zeit zu geben, ihnen den Rücken zu stärken. Nur so kommt der ungebrochene Teamgeist, vor allem aber das Selbstvertrauen zurück - beides ist essenziell für die Art wie wir Fußball spielen. Bei Amtsantritt habe ich die Mannschaft in die Pflicht genommen und diese hat einen starken Charakter bewiesen. Das Trainerteam rund um Daniel hat zudem immer wieder die richtigen Entscheidungen getroffen und klare Abläufe implementiert. Insbesondere in schwierigen Momenten haben uns unsere Fans den Rückenwind gegeben, den wir gebraucht haben. Im Zusammenspiel all dieser Faktoren haben wir in Kollektivleistung den Klassenerhalt aus eigener Kraft geschafft. 
Was die Saison abseits der Profimannschaft aus meiner Sicht auch zu einer gelungenen macht, sind die erkennbaren, positiven Entwicklungen in unserem Nachwuchsbereich. Unserer U23 ist der Aufstieg gelungen, hier treten wir im kommenden Jahr in der Oberliga an. Darüber hinaus konnten wir den Förderkader wieder implementieren und unsere U19 konnte in der Bundesliga als Aufsteiger die Klasse halten. Im Laufe der Spielzeit durften sich zudem immer wieder Jungs aus den Nachwuchsteams bei den Profis zeigen. Uns ist die Grundlage einer Verzahnung zwischen Profis und NLZ gelungen, dies wollen wir weiter festigen.“

Nach dem Feiern des Klassenerhalts steckst Du schon längst wieder tief in der Arbeit, denn unter anderem laufen die Verträge vieler Spieler des aktuellen Kaders aus. Zu einigen von ihnen konnten wir bereits verbindlich kommunizieren, bei anderen Profis wiederum noch nicht. Wie ist der aktuelle Stand in Sachen Vertragsverlängerungen?
Kessel: „Wir haben frühzeitig mit allen Spielern gesprochen und mussten viele Entscheidungen treffen. Von einigen Spielern haben wir uns bereits getrennt, mit anderen wiederum möchten wir gerne über den Sommer hinaus zusammenarbeiten. Wir möchten mit Hasan Kuruçay, Ermin Bičakčić als auch mit Fabio Kaufmann in die Zukunft gehen, haben ihnen einen klaren Weg aufgezeigt, kommuniziert, wie wir mit ihnen planen und ihnen im Rahmen unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten allerdings nicht minder wertschätzende Angebote unterbreitet. Nun liegt es an den Jungs selbst, ihre Entscheidungen zu treffen. Mit Anthony Ujah und Robin Krauße befinden wir uns ebenfalls in Gesprächen. Zudem ist uns sehr daran gelegen, zeitnah auch die Zukunft von Sebastian Griesbeck und Danilo Wiebe zu klären.
Dass wir Ron-Thorben Hoffmann gerne gehalten hätten, ist hinlänglich bekannt. Ebenso die Tatsache, dass er sich gegen unseren gemeinsamen Weg und gegen unser Vertragsangebot entschieden hat. Wir haben uns sehr um ihn bemüht und alles uns Mögliche in die Waagschale geworfen. Dennoch respektieren wir Thorbens Entscheidung. Er hat eine gute Entwicklung bei uns genommen, ist ein ausgezeichneter Torwart. Wir wünschen ihm auf dem von ihm nun eingeschlagenen Weg nur das Beste und sind überzeugt, dass er, wenn es ihm gelingt an seine gezeigten Leistungen anzuknüpfen, eine erfolgreiche Karriere vor sich haben kann. Es zeigt sich einmal mehr, dass wir einen Spieler auf das nächste Level entwickelt haben. Das wird immer Teil unseres Weges sein.
Etwas anders ist die Konstellation bei Thórir Helgason, welcher bislang auf Leihbasis bei uns war. Wir sind mit seiner Entwicklung sehr zufrieden und sowohl Thórir als auch wir würden die Zusammenarbeit gerne fortsetzen. Die vereinbarte Kaufoption war für uns finanziell jedoch nicht darstellbar, so ehrlich müssen wir sein. Ob wir mit seinem Stammverein US Lecce eine Lösung finden, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. 
Die Kaufoption von Kaan Caliskaner, seit Januar an den nun feststehenden polnischen Meister Jagiellonia Bialystok verliehen, wurde nicht gezogen, somit kehrt er Stand heute zunächst zu uns zurück. Wir sind mit seinem Berater im Austausch, um eine gute Lösung für alle Parteien zu finden."

Klar ist damit auch, dass es im Sommer zu vielen personellen Veränderungen im Kader kommen könnte. Mit Leon Herdes, Kevin Ehlers, Max Marie und Levente Szabó sind die ersten Sommerneuzugänge fix. Welche Kriterien sind euch besonders wichtig, die neue Spieler unbedingt mit an die Hamburger Straße bringen sollen?
Kessel: „Es ist gut, dass wir die ersten Spieler schon weit vor der Ende Juni startenden Vorbereitung verpflichten konnten. Weiterhin befinden wir uns natürlich in vielen Gesprächen, die wir bereits sehr frühzeitig begonnen haben und beobachten darüber hinaus den Markt sehr genau, um weitere externe Neuzugänge zu fixieren.
Wir wollen eine nachhaltige Kaderstruktur schaffen, damit wir uns nicht Sommer für Sommer mit zahlreichen auslaufenden Verträgen konfrontiert sehen. Aus unserer Sicht haben wir nun die Chance, diesen Weg einzuschlagen und in gewisser Weise ein Fundament für die nächsten Jahre zu legen. Für geplante Neuverpflichtungen haben wir klare Spielerprofile definiert und bereits früh die ligaunabhängige Planung vorangetrieben. Wir wollen auch in der kommenden Spielzeit eine hohe Intensität auf den Platz bringen und brauchen dafür Jungs, die sich mit unserem leidenschaftlichen Verein und unserer Spielweise identifizieren können. Somit benötigen wir einen guten Charakter des Teams, aber auch eine inhaltliche Weiterentwicklung. Wir wollen unser schon sehr gutes Umschaltspiel um mehr Qualität in den Ballbesitzphasen erweitern."

Welche Positionen haben für Euch aktuell Priorität und wie wichtig ist es, dass das Gesicht des Kaders möglichst umfangreich schon zum offiziellen Trainingsauftakt am 23. Juni steht?
Kessel: „Wir spüren aktuell ein Anrollen am Transfermarkt. Stand jetzt gehen wir davon aus, dass der Kader zum offiziellen Trainingsauftakt noch nicht komplett sein wird. Dennoch ist es unser Ziel zum Trainingsstart bzw. zum eine Woche später startenden Trainingslager einen Großteil des Kaders fixiert zu haben – mit der Energie sind wir aktiv, aber auch ein Stückweit abhängig von äußeren Umständen bzw. der anderen Parteien. Wir suchen, natürlich auch aufgrund des Abgangs von Thorben Hoffmann, in allen Mannschafsteilen nach Verstärkungen.
Uns ist bewusst, dass in diesem Sommer ein durchaus größerer Umbruch ansteht und wissen um die Herausforderung und um unsere Verantwortung. Es wird einige Veränderungen geben und wir wollen den Kader gleichzeitig verjüngen. Somit wird das Zusammenfinden – sowohl sportlich als auch im Teamgefüge – in der Vorbereitung extrem wichtig sein."

Nach zwei erfolgreichen Klassenerhalten starten wir am ersten Augustwochenende in eine weitere Saison in Liga zwei. Was muss passieren, damit Du im Mai 2025 sagen kannst, dass es für uns eine erfolgreiche Saison war?
Kessel: „Über allem steht auch im kommenden Jahr der Klassenerhalt! Wir wollen ein zukunftsfähiges Grundgerüst schaffen, unsere positive Entwicklung seit November fortsetzen, auch im spielerischen Bereich Schritte nach vorne machen und frühzeitiger unser Saisonziel erreichen. Das wäre für die Gesamtentwicklung und für die Stabilität von Eintracht Braunschweig ein großer Erfolg."